Über die Entscheidung, Kinder zu haben oder nicht
Ein Interview mit Diane Balser
Sisters: Wie hast du an der Entscheidung, Kinder zu bekommen oder nicht, gearbeitet?
Diane: Ich habe damit begonnen an meiner eigenen Entscheidung zu arbeiten als ich ungefähr 40 Jahre alt war. Ich habe zwei oder drei Jahre darüber gecounselt und dabei versucht, mir über das Thema klar zu werden. Meine Beobachtung war, dass Menschen im Counseln, besonders Frauen, das Thema "Kinder kriegen" nicht als ein Thema bearbeiteten, bei dem es darum geht, selber eine aktive Entscheidung zu treffen. Eine Frau, die irgendwann soweit war und ein Kind haben wollte, schien diesen Wunsch dann einfach umzusetzen. Während Frauen, die keine Kinder haben wollten, eben keine bekamen. Die Mehrheit der Frauen hatte dabei offensichtlich das Gefühl, Kinder bekommen zu wollen.
Es ist mir klar geworden, dass die Entscheidung, Kinder bekommen zu wollen oder nicht, für mich eine aktive Entscheidung sein mußte, und zwar so aktiv wie dies in der heutigen Gesellschaft, mit all ihren Beschränkungen, die sie nach wie vor für Frauen hat, möglich ist. Zu bemerken, dass Frauen nicht aktiv wählen, war einer der wichtigsten Punkte, die mir bei diesem Thema aufgefallen sind. Gleichzeitig habe ich an mir selbst gemerkt, daß es möglich ist, eine solche Entscheidung zu treffen. Ich habe deshalb damit begonnen, mit anderen Frauen an diesem Thema zu arbeiten. Weil es Sexismus gibt, ist dies eine der wichtigsten Entscheidungen, die Frauen in ihrem Leben treffen, und Frauen erleben dies auch so. Obwohl das Thema im Counseln oft nicht angesprochen wird, nimmt es dennoch für Frauen enorm viel Aufmerksamkeit in Anspruch.
Wenn Frauen sich nicht aktiv für oder gegen Kinder entscheiden, führt dies oft dazu, daß sie auch später ihr Leben nicht selbstbestimmt in die Hand nehmen. Ein Kind haben zu wollen, heißt meist noch lange nicht, daß man sich darüber im klaren ist, welche Arbeit das Großziehen eines Kindes mit sich birgt. Die meisten von uns treffen diese Entscheidung nicht auf Basis einer ehrlichen Bewertung der Ressourcen, die uns tatsächlich zur Verfügung stehen. Eine Frau zieht zum Beispiel normalerweise nicht in Betracht, wie es sich auf sie auswirken wird, Kinder zu haben und nicht mehr die Hauptverdienerin der Familie zu sein oder vielleicht überhaupt keine Kontrolle mehr über ihre wirtschaftliche Situation zu haben. Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die Frauen oft nicht in Betracht ziehen. Nachdem eine Frau dann ein Kind bekommen hat, kommt oft vieles auf sie zu, das sie bereits bei der Entscheidungsfindung für sich hätte klären und regeln können.
Diejenigen von uns, die sich dafür entschieden haben, keine Kinder zu bekommen, erfahren ebenfalls Unterdrückung. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was andere Menschen von uns denken, wenn sie sehen, dass wir keine Kinder haben. Denn weil wir nicht das machen, was Frauen traditionell schon immer mit ihrem Leben gemacht haben, nimmt unsere Umwelt an, daß etwas mit uns nicht stimmt.
Ein anderer wichtiger Punkt ist unser Verhältnis zu Kindern generell. Egal ob wir selber Kinder haben oder nicht, müssen wir uns überlegen, wie wir Verbündete für Kinder sein können. Wenn wir uns dazu entschlossen haben, keine Kinder zu haben, geht es darum, an jenen Gefühlen zu arbeiten, die uns im Wege stehen, gute und vertrauensvolle Beziehungen mit jungen Menschen zu haben.
Ein weiteres Schlüsselthema scheint zu sein, wie wir als Frauen unser Leben um die Entscheidung herum, die wir getroffen haben, aufbauen. Wenn wir uns zum Beispiel dafür entschieden haben, Kinder zu bekommen, wie organisieren wir dann unser Leben so, dass wir weiterhin Leitungsfunktionen wahrnehmen können, uns in vieler Hinsicht weiter entwickeln können und uns ausreichend Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (wenn es so etwas wie ausreichende Kinderbetreuung überhaupt gibt)?
Wenn wir uns die heutige Situation von Eltern und Kindern ansehen, macht es Sinn, für eine bestimmte Zeit die Hauptaufmerksamkeit im Leben auf das Aufziehen der Kinder zu legen. Um sich von der Unterdrückung von Frauen in unserer Gesellschaft nicht einholen zu lassen, ist es jedoch für Frauen auch äußerst wichtig, sich außerhalb des Hauses zu engagieren. Zudem ist es wichtig, dass junge Menschen ihre Mütter aktiv in der Welt draußen erleben.
Sisters: Wie hat die Art und Weise, wie Du aufgewachsen bist Deine Entscheidung beeinflußt?
Diane: Ich glaube, die Tatsache, dass ich eine jüdische Frau bin ist wichtig. In jüdischen Familien ist die Erwartung an Frauen, Kinder zu bekommen enorm. Der Druck kommt sowohl aus der jüdischen Religion als auch aus der Kultur.
In meiner Familie gab es widersprüchliche Erwartungen. Auf der einen Seite erwarteten meine Mutter und mein Vater durchaus, dass ich "wichtige Dinge in der Welt" machen würde, auf der anderen Seite hatten sie gleichzeitig große Angst, dass ich nicht heiraten und keine Kinder bekommen würde. Ich glaube, es war immer davon ausgegangen worden, dass ich Kinder haben würde. Als ich meine Periode mit dreizehn oder vierzehn noch immer nicht bekommen hatte, haben meine Eltern beim Arzt angerufen, um herauszufinden, wo das Problem liegen könnte. Zu meiner Bas Mitzvah bekam ich von der Synagoge Kerzenleuchter, die meine Mutter für mich aufbewahren sollte, bis ich geheiratet und Kinder bekommen haben würde.
Für jüdische Frauen liegt ihre Erfüllung in der Gründung einer Familie. Ich habe den Konflikt bei meiner Mutter ganz deutlich sehen können. Nach dem Kinderkriegen, hat sie aufgehört, an ihrer Doktorarbeit zu arbeiten. Sie hat durch das Gebären körperliche Probleme bekommen, die viele Jahre später zu ihrem Tode führten. Wenn ich Familiefotos ansehe, kann ich sehen, wie sich das Leben meiner Mutter nach dem Kinderkriegen verändert hat und wie sie selbst dabei zu kurz gekommen ist. Ihr Körper hat sich verändert – ihre Haltung wurde gebeugter. Ihr Gesicht verlor an Ausdruck.
Mir waren die Erwartungen an mich als jüdische Frau bewußt und ich hatte klar vor Augen, welche Konflikte meine Mutter durchgemacht hat. Ich war entschlossen, dafür zu sorgen, daß mir bestimmte Dinge nicht passieren würden. Gleichzeitig bin ich aber dabei immer davon ausgegangen, selber einmal ein Kind zu haben. Ich glaube ich habe diese Annahme bis zu den ersten Schritten der Frauenbewegung (außerhalb von NC) nie in Frage gestellt. Wie viele andere Frauen, hatte auch ich damals schon das Muster verinnerlicht, mich um andere zu kümmern, andere zu versorgen. Beim counseln an diesem Thema, habe ich gelernt, dass Frauen schon ganz früh zum Bemuttern konditioniert werden und diese Rolle wahrnehmen, egal ob sie tatsächlich ein Kind haben oder nicht. In einem ihrer jüngsten Bücher, hat Gloria Steinem geschrieben, dass sie sich um die Frauenbewegung gekümmert hat, zu einem Zeitpunkt, als es ihr nicht gelungen ist, sich um sich selber zu kümmern. Das stimmte auch für mich. Ich kümmerte mich um Projekte, als wären es meine Kinder. Die Schmerzerfahrungen waren vorhanden und haben mein Handeln bestimmt, egal ob da ein Kind war oder nicht.
Sisters: Was hast Du gelernt als Du an dieser Entscheidung - selber und mit anderen Frauen - gearbeitet hast?
Diane: Eine Sache, an der ich gearbeitet habe und versuche auch andere Frauen dazu zu bringen, daran zu arbeiten, sind unsere Phantasien. Es ist sehr wirkungsvoll an all dem zu arbeiten, was bei Frauen hochkommt (ohne es zu bewerten und was immer es auch sein mag), wenn sie darüber nachdenken, warum Sie ein Kind haben möchten. Es könnte zum Beispiel sein, daß es darum geht, jemanden zu haben, den man an sich drücken und mit dem man kuscheln kann. Für mich ging es darum, ein Mädchen zu haben, das so war wie ich, bevor ich in die Pubertät kam. Jetzt, nachdem ich mit Frauen an ihrem Leben vor der Pubertät gearbeitet habe, ist mir klargeworden, dass für die meisten Frauen die Pubertät mit einer Menge Schmerzerfahrungen verbunden ist. In meiner Phantasie konnte ich mir das Mädchen nie älter als zehn oder elf Jahre alt vorstellen. Das war mein Bedarf, an meinen eigenen Schmerzerfahrungen zu arbeiten. Ich wollte die Sicherheit und das Selbstvertrauen, das junge Mädchen haben zurückgewinnen. Die meisten Mädchen verlieren diese Sicherheit in der Pubertät, wenn Heiraten und Kinderkriegen anscheinend die einzige Erwartung ist, die an sie gestellt wird.
Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich heiraten und ein Kind bekommen würde. Gleichzeitig konnte ich mir nie richtig vorstellen, wie ich ein Kind mit den anderen Dingen, die ich im Leben tun wollte, vereinbaren kann.
Ich habe beim Counseln gelernt, dass viele Frauen nicht wegen der Beziehung zu einem Mann heiraten, sondern um Kinder zu bekommen. Ein Kind haben zu wollen, ist zentral im Leben einer Frau. Ich selbst muß wahrscheinlich noch weiter daran arbeiten, mich einfach nur fühlen zu lassen, was ich tatsächlich haben wollte als ich vor dieser Entscheidung stand. Meine CounslerInnen haben damals mein Gefühl, ein Kind haben zu wollen, mit dem verwechselt, was ich dafür tun könnte, eines zu haben. Ich habe daraus gelernt, Gefühle, die ich oder andere Frauen zu diesem Thema haben, nicht als Richtlinie für das eigene Handeln zu akzeptieren.
Wir können eine Entscheidung aufgrund mehrerer Faktoren treffen. Für mich gab es viele pragmatische Faktoren. Ich hatte noch keine Situation aufgebaut, in der das Großziehen eines Kindes mit anderen Menschen geteilt werden konnte. Finanzielle Gesichtspunkte spielten eine große Rolle. Ich konnte mir nicht vorstellen, meine wirtschaftliche Zukunft nicht selbständig im Griff zu haben. Ich kam zu dem Ergebnis, dass ich nicht genügend Geld verdiente, um mich und ein Kind unterstützen zu können. Es stimmt allerdings, dass ich andere Menschen mit finanziellen Ressourcen hätte miteinbeziehen können.
Ich wollte wirklich sehen, wie mein Leben ohne ein Kind aussehen würde. Traditionell war das Kinder bekommen von jeher bedeutungsgebend für das Leben einer Frau. Ich wollte mein eigenes Leben unter meinen eigenen Bedingungen leben und sehen, ob ich es hinbekommen würde. Ich wollte nicht, dass ein Kind von meinen eigenen Kämpfen um Nähe und Intimität berührt werden sollte. Für so viele von uns wird unser Selbstwertgefühl und unsere Bedeutung im Leben von den Beziehungen bestimmt, die wir in einer Ehe und mit eigenen Kindern aufbauen. Dabei geht oft Wissen darüber verloren, wer wir selbst sind und dass wir bereits allein aus uns selbst heraus von Wert und von Bedeutung sind. Die Bedeutung bin ich selbst. Von da aus kann ich Beziehungen mit anderen aufbauen. Ich brauche kein neues Wesen in die Welt zu bringen, um meine Bedeutung oder Existenz als Frau zu bestätigen.
Ich denke auch, dass meine eigenen Schmerzerfahrungen bei meiner Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Ich habe die Arbeit von Frauen und die Arbeit, die mit dem Muttersein verbunden ist, nicht vollständig geschätzt. Manchmal habe ich das Gefühl die Verbundenheit mit einem Kind zu vermissen, aber das Gefühl ist ein Teil meiner chronischen Schwierigkeit, mit anderen in Verbindung zu bleiben, egal ob es sich dabei um junge oder ältere Menschen handelt. Ich bedaure nichts, obwohl ich ab und zu ein Gefühl des Bedauerns entlaste. Ich lebe ein sehr interessantes, aufregendes Leben, das mir Gelegenheit gibt in vieler Hinsicht zu wachsen.
Als Frauen haben wir oft chronische Schwierigkeiten damit, uns selbst an erste Stelle und ins Zentrum unseres Lebens zu stellen. Als Mutter ist das noch viel schwieriger. Uns zu holen was wir möchten und brauchen - dieses Streben wird zurückgehalten, wenn wir Mütter werden. Es gibt viele wunderbare Dinge, die wir als Mutter erleben können, aber das eigene Vorwärtskommen, die eigene Entwicklung, die Chance für uns selbst neue Dinge auszuprobieren, uns um unseren Körper zu kümmern wird doppelt und dreimal so schwer.
Sisters: Welche Richtungen hast du benützt, um mit Frauen an diesem Thema zu arbeiten?
Diane: Ich arbeite mit Frauen an den Gründen, warum sie ein Kind haben wollen. Du kannst zum Beispiel in die Sitzung gehen mit dem Vorsatz: "Ich will mein eigenes leibliches Kind haben" und an all dem arbeiten was angesichts dieser Entscheidung hochkommt. In einer anderen Sitzung kann man die Entscheidung treffen, kein Kind zu haben und sich die Gefühle ansehen, die dann hochkommen. Formuliere die Gefühle, sehe sie Dir durch und suche Dir diejenigen aus, die eine Schlüsselrolle für Dich spielen. Es funktionieren auch Counselrichtungen, in denen wir uns daran erinnern, auch ohne Kind 100% weiblich zu sein.
Zusätzlich zu meinem Counseln an dem, was ich wollte und an den Gefühlen die jeweils dabei hochkamen, habe ich Frauen, die älter waren als ich und keine Kinder hatten, interviewt.(Frauen interviewt die keine Kinder hatten und älter waren als ich) Ich bin mit der - an sich schon unterdrückerischen Annahme aufgewachsen, kein eigenes Kind zu haben, sei das Ende meines Lebens. Viele der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hatten das entgegengesetzte Ende der Schmerzerfahrung, nämlich Kinder nicht zu mögen, was dann dazu führte, dass sie keine Kinder hatten. Gleichzeitig gab es unter denjenigen, die ich befragt hatte, aber auch Frauen, die Kinder mochten. Egal ob sie Kinder mochten oder nicht, ihr Leben war gut. Sie waren in der Regel unabhängiger und führten ein interessantes Leben.
Letztendlich habe ich erkannt, dass es vor allem wichtig ist, eine Entscheidung zu treffen. Solange ich mich nicht bewußt entschied, wurde mein Leben aufgehalten, so als ob ich darauf wartete, es erst dann zu leben, wenn ich mich einmal für ein Kind entschieden hatte. Es war ein Stadium, in dem ich mich nicht vollkommen einlassen konnte auf das Leben, das ich gerade lebte und auch nicht auf das Leben, das ich führen wollte. Ich mußte zu einer Entscheidung kommen, und obwohl es Zeiten gab, in denen ich Bedauern verspürte, war es ab einem gewissen Zeitpunkt wichtiger, einfach eine Entscheidung zu treffen.
Sisters: Eine Mutter zu werden heißt, sich in Zukunft den Mechanismen stellen zu müssen, mit denen Mütter in unserer Gesellschaft unterdrückt werden. Wie soll eine Frau bei der Entscheidung für diese Unterdrückung vorgehen?
Diane: Ich denke wir müssen die Entscheidung aktiv treffen und es als ein äußerst interessantes und lohnendes Projekt betrachten. Gleichzeitig dürfen wir dabei nicht unsere Identität als Frau mit dem Projekt Mutter gleichsetzen. Es ist wichtig, das Muttersein als ein Frauenbefreiungsprojekt anzusehen. Als Mütter haben wir die Gelegenheit, uns von Fürsorglichkeitsmustern zu befreien, Verbündete für die Befreiung junger Menschen zu sein und jungen Menschen zu helfen, ihr Leben und ihre Träume voll und ganz selbst in die Hand zu nehmen.
Sisters: Ab welchem Zeitpunkt würdest Du damit beginnen, mit Mädchen über die Entscheidung Kinder zu bekommen oder nicht zu sprechen?
Diane: Das hängt von der Kultur und der Umgebung ab in der das Mädchen aufwächst. Fast alle Mädchen werden dazu konditioniert, Kinder haben zu wollen. Mädchen müssen deshalb an der Konditionierung arbeiten, die ihnen vorgibt, dass sie Kinder bekommen werden und dass sie ihr Leben entsprechend danach einrichten müssen.
Sisters: Gib mir ein Beispiel, wie ein vierzehnjähriges Mädchen an diesem Thema arbeiten könnte.
Diane: Keine Grenzen! Sie kann alles mit ihrem Leben machen, was sie verdammt noch mal damit tun will. Es gibt keine Grenzen in ihrem Leben.
Es ist wunderbar, dass sie die Fähigkeit hat sich fortzupflanzen. Sie hat die volle Verfügungsgewalt darüber und wird wählen, ob sie diese benützt oder nicht. Es gibt keinen Grund, warum eine Frau unbedingt Mutter werden muß. Zu diesem Zeitpunkt unserer Menschheitsgeschichte besteht keine Notwendigkeit dazu. Was bearbeitet werden muß, ist die Konditionierung. Nur so können Frauen eine freie Entscheidung treffen.
Frauen verbringen nicht viel Zeit damit, in ihren Sitzungen daran zu arbeiten, ob sie bedeutende Mathematikerinnen oder Künstlerinnen werden sollen. Die Tatsache, daß wir an der Entscheidung, ob wir Kinder bekommen sollen oder nicht, in so zentraler Weise arbeiten müssen und es nicht eine Entscheidung unter vielen ist, verdeutlicht die unterdrückende Wichtigkeit, die dieses Thema in unserem Leben spielt. Würde es diese Unterdrückung nicht geben, würde jede Frau, egal in welchem Alter, daran arbeiten, wie sie in ihrem Leben ihr volles Potential am besten ausschöpfen kann. Fazit ist, dass ein Kind zu bekommen oder nicht, ohne diese Unterdrückung, nicht die große Entscheidung wäre, die sie heute in unserer Gesellschaft ist. Mehr Frauen würden keine eigenen biologischen Kinder haben.
Sisters: Wie würde diese Entscheidung ohne Frauenunterdrückung aussehen?
Diane: Sie würde nicht das ausschlaggebende Ereignis im Leben einer Frau sein. Viel von dem, was für eine Frauen von Geburt an passiert, ist eine Vorbereitung auf eine Rolle, in der sie unterdrückt wird. Zentral dabei ist das Einüben, sich als Arbeitskraft ausbeuten zu lassen, indem sie Kinder gebärt und hauptsächlich für ihre Versorgung verantwortlich ist. Ohne diese Unterdrückung, würde es keine ausgebeutete Arbeit und auch keine Vorbereitung darauf geben. Kinder würden wahrscheinlich von mehreren verschiedenen Menschen aufgezogen werden. Es könnte jemand geben, der hauptsächlich dafür verantwortlich wäre, aber dies könnte ein Mann genau so gut wie eine Frau sein. Auf jeden Fall würde keine/r 24 Stunden am Tag für die Kinder da sein müssen. Es wäre höchstens ein 6- bis 8-Stunden-Tag. Viele Frauen würden sich wahrscheinlich nicht für Kinder entscheiden. Unser Leben würde Kindererziehen mit einschließen, aber für jede Frau wären auch noch andere Dinge wichtig.
Frauen haben das Recht dazu, volle Verantwortung für diesen Planeten übernehmen zu können. Kindererziehen wäre Aufgabe der Gesellschaft und jedes Kind hätte wahrscheinlich vier oder fünf Menschen um sich, die ihr zur Seite stehen und ihr beim Aufwachsen und in ihrer Entwicklung helfen. Dann würde es auch keine Unterdrückung von jungen Menschen, so wie wir das heute kennen mehr geben. Ein großer Teil der Ausbeutung von Frauen führt dazu, dass junge Menschen unterdrückt werden.
Frau zu sein ist wunderbar! Es darf keine Erwartungen an eine Frau geben, nur weil sie eine Frau ist und es darf keine Rollen geben, in die sie sich einpassen muß, nur weil sie eine Frau ist. Die einzige Erwartung an eine Frau ist, dass sie sie selber ist. Wir brauchen keine Brüterinnen. Wir wollen eine Person, eine echte Person, die lebendig und aktiv ist, die Herausforderungen annimmt, die die Welt erforscht, die anderen Menschen nahe kommt. Wir brauchen jemanden, der Verantwortung dafür übernimmt, das Richtige zu tun. Wir erwarten nicht eine Frauenrolle, die in Mustern verharrt. Frauen haben das Potential absolut alles in die eigenen Hände zu nehmen, inklusive ihr Verhältnis zur eigenen Reproduktion.
Sisters: Wie können sich Deiner Meinung nach, Mütter und Nicht-Mütter gegenseitig in ihren Entscheidungen unterstützen?
Diane: Ich denke, dass jede Frau ihre eigenen Entscheidungen im Leben treffen muß. Ich denke auch, daß man in das Leben einer anderen Frau eingreifen kann, wenn man glaubt, die Wahl, die sie getroffen hat, könnte noch weiter erforscht werden. Du kannst die Entscheidung in Frage stellen und darüber hinausgehende Möglichkeiten aufzeigen, aber ab einem bestimmten Punkt mußt Du das Recht einer Frau, ihre eigene Wahl zu treffen anerkennen. Es ist so ähnlich, wie mit dem Recht auf Abtreibung.
Bei einer Frau, die sich aktiv für das Muttersein entschlossen hat, muß ich als Nicht-Mutter einen Unterschied machen zwischen der Unterdrückung, der sich diese Frau gegenüber sieht und der Wahl, die sie getroffen hat. Ich gratuliere ihr zu ihrer Wahl, schätze diese und helfe ihr aktiv, sich gegen die Unterdrückung zu behaupten.
Ich denke, dass Frauen, die Mütter sind, das Muttersein entmystifizieren müssen Es ist wichtig, daß sie nicht den Mythos hochhalten, es sei die glücklichste und schönste Erfahrung der Welt und von denjenigen, die keine Mütter sind annehmen, sie könnten keine wirkliche Freude im Leben erfahren. Dieser Mythos ist dazu da, die Unterdrückung aufrecht zu erhalten. Mütter müssen sich ganz deutlich dagegen stellen und das Recht einer Frau, keine Kinder zu bekommen hochhalten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sie sich für die Rolle des Mutterseins und für das wichtige Projekt, das es ist, stark machen.
Eine Frau die keine Mutter ist, muß ebenfalls gegen die Unterdrückung von Müttern Standpunkt beziehen und das Muttersein als wichtige Aufgabe herausstellen, während sie ihr eigenes Leben ohne Kinder in vollen Zügen lebt.
Frauen, die die Entscheidung treffen, Kinder zu bekommen, können nicht von Frauen, die keine Kinder haben erwarten, dass diese auf ihre Kinder aufpassen und sie vor der Unterdrückung retten. Die Freundschaft zwischen zwei Frauen, einer Mutter und einer Nicht-Mutter, sollte nicht darauf basieren, daß die Frau die keine Mutter ist, Kinderbetreuung übernimmt. So nötig die Kinderbetreuung auch gebraucht wird, sie muß eine aktive Wahl der Nicht-Mutter sein. Auf die Kinder aufzupassen kann ihr schmackhaft gemacht werden, aber es sollte nicht etwas sein, dass von der Freundschaft erwartet wird. Angesichts der Schwierigkeiten, die mit dem Elternsein einhergehen, kann es jedoch der Wunsch der Nicht-Mutter sein, einen Weg zu finden, ihrer Freundin behilflich zu sein.
Die Freundschaft erlaubt jeder der beiden Frauen, einer Frau nahe zu sein, die eine andere Wahl getroffen hat. Die Freundschaft kann einer Mutter ein Bild von ihrer Autonomie als Frau geben. Für Nicht-Mütter ist es eine gute Gelegenheit, eine Beziehung mit einem jungen Menschen zu haben.
Rational Island Publishers (Hg.): Sisters. Nr. 10, Seattle.
Übersetzt von Uta Allers und Susi Weiß